Die Graumann-Lofts, der Lebensraum Arbeit, lebt von seinen innovativen Köpfen. In der Serie „Im Gespräch“ bitten wir unsere Mieter und Mieterinnen zum Interview.
Heute im Gespräch:
Gina Paulik, Chefin des centerpiece Tattoostudios
Ich finde nicht, dass hinter dem Motiv an sich eine Bedeutung stehen muss. Doch was ich sehr wichtig finde, ist das Gefühl.
Erzähl uns doch bitte kurz von dir und deinem bzw. eurem Unternehmen.
Ich bin die Gina und ich habe das Unternehmen mit meinem Mann Macho gegründet. Seit Anfang 2017 bin ich selbstständige Tätowiererin. Vor circa einem Jahr haben wir uns dazu entschlossen, dass wir gemeinsam ein Unternehmen auf die Beine stellen wollen und haben dann die Centerpiece OG gegründet. Mit Centerpiece wollen wir das Tätowieren größer anlegen und ein Studio schaffen, das mehr Arbeitsplätze bietet. Wir haben den Gründungsprozess von Anfang an sehr offen gestaltet, indem wir zuerst alleine rein gestartet sind und eine Basis aufgebaut haben. Jetzt sind wir so weit, dass das Team wachsen kann und wir schauen können, wer gut zu uns passt.
Du selbst bist ja schon seit 2017 selbstständig. Was waren damals deine Beweggründe, in die Selbstständigkeit zu gehen?
Da spielten viele Dinge mit. Grundsätzlich ist es in der Branche sehr üblich, dass man sich selbstständig macht. Den Weg über die Gewerbeprüfung gehen viele, weil man oft in Studios nicht angestellt wird, sondern auf selbstständiger Basis arbeitet. Für mich hat wesentlich dazu beigetragen, dass ich kein Studio gefunden habe, wo ich das Gefühl hatte, dass ich so arbeiten kann, wie ich gern arbeiten möchte. Mir war wichtig, dass ich Entscheidungen so treffen kann, wie ich sie für richtig halte und dass ich den Kunden und Kundinnen die Zeit geben kann, die sie brauchen. Deshalb war es für mich der logischste Weg, in die Selbstständigkeit zu gehen.
Zu Beginn gab es natürlich auch Stolpersteine und einige Abzweigungen, die ich genommen habe, die sich im Nachhinein als ungünstig herausgestellt haben. Insofern konnte ich sehr viel aus Fehlern lernen. In Summe hat es jedenfalls dazu geführt, dass ich jetzt dort bin, wo ich gerne hinwollte. Ich hatte zudem das Riesenglück, viele tolle Unterstützer im Rücken zu haben. Vor allem mein Schwiegervater hat quasi die Welt auf den Kopf gestellt, um mir auf diesem Weg zu helfen. Er war von Anfang an voll begeistert und Teil von dem Ganzen. Das ist jetzt, im Nachhinein betrachtet, eines der schönsten Dinge eigentlich an der Selbstständigkeit, dass es nicht nur unterstützt wurde, sondern richtig als familiäres Team gewachsen ist.
Was sind deine Stärken und was macht dich und deine Tätowierungen einzigartig? Wofür loben dich deine Kund*innen am meisten?
Ich glaube, es ist die Zeit, die ich den Kunden gebe und wie ich mit der Form der Tätowierung umgehe. Es fragen mich immer ganz viele Leute, ob jede Tätowierung eine Bedeutung haben muss. Das finde ich nicht. Ich finde nicht, dass hinter dem Motiv an sich eine Bedeutung stehen muss. Doch was ich sehr wichtig finde, ist das Gefühl. Dinge lösen immer ein Gefühl aus. Ob das jetzt ein Film ist, oder Kunst, oder ein tolles Panorama, das ich sehe. Was immer ich mir gerade anschaue: Es löst etwas in mir aus. Das ist etwas, auf das ich sehr achte: Dass es beim Kunden das richtige Gefühl auslöst oder das unterstützt, was er oder sie damit gerne erreichen möchte.
Meine Kunden und Kundinnen sollen nach dem Termin raus gehen und DAS Gefühl haben. Das Gefühl, dass die Tätowierung bei ihnen das auslöst, was sie damit erreichen bzw. ausdrücken wollen. Dafür ist nicht immer das Motiv ausschlaggebend. Es geht vielmehr um die Geschichte dahinter oder den Beweggrund für die Tätowierung.
Eine Tätowierung zu haben, bedeutet viel mehr als einfach nur ein Bild auf der Haut zu haben. Es steht für eine bestimmte Lebenssituation oder vielleicht für einen neuen Lebensabschnitt. Laut meiner Erfahrung geht es zum Beispiel bei Frauen häufig darum, das Gefühl über den eigenen Körper wieder zu erlangen. Manchmal fühlt man sich deshalb auch wie ein kleiner Therapeut. (lacht) Die Tätowierung und der Prozess des tätowiert werdens, hilft Menschen manchmal dabei, diese Gefühle zu verarbeiten und zusammen zu fassen. Wenn sie das Tattoo dann ansehen, ist es vielleicht nicht mehr die Narbe von einem Unfall, der schlimme Erinnerungen weckt, sondern die Blume, die neues wachsen lässt und gute Gefühle anregt.
Das ist die Kraft von Tattoos und meine Stärke: die Psychologie dahinter in den Fokus zu stellen. Zu wissen, was Tätowierungen auslösen können bzw. sollen und darauf zu achten, dass sich DAS Gefühl einstellt.
Wie bist du zu den Graumann-Lofts als Standort gekommen? Was hat dich dazu bewogen hier dein Studio zu eröffnen?
Letztes Jahr im Februar oder März, als wir uns zur Centerpiece OG entschlossen hatten, haben wir begonnen zu suchen. Erst über die klassischen Plattformen. Allerdings war da nichts Passendes für uns dabei. Schließlich waren wir mit Thomas Zitta in Kontakt. Erst wegen einer anderen Location, die nicht so gut passte. Dann hat er uns die Graumann-Lofts vorgeschlagen. Damals kannten wir das Projekt selbst noch gar nicht. Es war alles im Bau, gefühlt war es noch im Rohbau. (lacht) Aber man hat schon eine gute Vorstellung davon bekommen, wie es einmal wird. Als wir unten rein gingen, hat unser Bauchgefühl dann sofort gesagt: Ja, das ist es.
Was gefällt euch besonders gut an den Graumann-Lofts?
Es passt sehr gut dazu, was wir uns für unser Studio vorgestellt haben. Wir schätzen jede Form von Tattoostudio. Es ist toll, dass es verschiedene Stile und Richtungen gibt und jeder das so machen kann, wie er oder sie sich wohl fühlt.
Unser Ziel war es, dass man Tätowierungen ein bisschen aus der Nische holt. Wir wollen einen Platz schaffen, für jede Art von Mensch. Wo sich die 50-jährige Bankkauffrau genauso wohl fühlt, wie ein 25-jähriger Punk. Wir wollten etwas Modernes und Neutrales in der Hinsicht, dass man nicht von einer Nische erdrückt wird, sondern alles frei und offen ist und man so sein kann, wie man will. Wir wollen keine Richtungen vorgeben. Ähnlich empfinden wir den Stil des Gebäudes. Die Graumann-Lofts vermitteln ein sehr offenes Gefühl. Daher passt das sehr gut zusammen.
Was hat sich seit dem Einzug verändert?
Ich habe keine Freizeit mehr. (lacht) Und das ist gut. Wirklich. Ich hatte lustigerweise, seit ich selbstständig bin, noch nie das Gefühl, dass ich keine Freizeit mehr habe und das so schön finde. Es ist ein „Dahoam“ geworden.
Wir ziehen jetzt auch hinten ein, was sich spontan gut ergeben hat. Damit ist das Graumann-Viertel jetzt wirklich unser Lebensmittelpunkt geworden. Es fühlt sich ein bisschen an wie ein Neustart hier, mit sehr viel guter und schöner Arbeit.
Welche Nachbarn würdest du dir in den Graumann-Lofts wünschen?
Das ist eine sehr gute Frage. Etwas in die Gastro-Richtung wäre cool. Ich persönlich bin ja ein Cupcake- und Smoothie-Fan. Sowas wäre sehr nett. (lacht) Es würde zudem mehr Leute anziehen und die Besucher-Frequenz hier erhöhen. Und Bewegungsangebote sind natürlich immer super. Vielleicht Yoga… oder: ein ehemaliger Arbeitskollege macht Hula-Hoop. Vielleicht wäre das ja was… (lacht)
Wir bleiben noch kurz beim Träumen und Wünschen: Stell dir vor, du wärst Erfinderin: Was würdest du gerne erfinden?
Als Erfinderin würde ich gerne einen Beamer erfinden. Einen der Menschen beamen kann. Dann könnte ich meinen Feierabend am Strand verbringen oder in einer Pause mich schnell auf einen Kaffee zur Mama beamen. (lacht)
Was möchtest du den Lesern und Leserinnen gerne zum Abschluss mitgeben?
Achtet mehr aufs Gefühl. Gerade beim Tätowieren. Es gibt unglaublich viele talentierte Künstler und Artists, die tolle Bilder machen. Ich denke, für die Kunden und Kundinnen ist das Gefühl, das dahintersteht, sehr wichtig. Laut meiner Wahrnehmung bereuen Menschen Tattoos hinterher nur dann, wenn nicht das richtige Gefühl dahintergestanden ist. Das Motiv ist dabei eher zweitrangig. Ich habe schon die schrägsten, lustigsten und chaotischsten Motive gesehen. Wenn die Menschen dann die Geschichte dahinter erzählen, die spannend ist, lustig oder emotional – dann war es immer voll okay, dieses Motiv auf der Haut zu tragen. Aber Begründungen wie „Hab ich halt gemacht, weil es nett war“ gehen später öfter einmal in die Richtung bereuen.
Wichtig ist, dass ich mich als Kunde oder Kundin im Tattoo-Studio und mit den Menschen dahinter wohl fühle. Ich muss das Gefühl vermittelt bekommen, dass die tätowierende Person das beachtet, was mir wichtig ist, ich meine Wünsche äußern kann und ich eventuell Änderungen vornehmen kann. Ich muss die Zeit im Studio gerne dort verbringen und mir sicher sein, dass es ein bisschen sowas wie ein „Safe Space“ für mich und meine Wünsche ist. Wenn das stärker beachtet wird, führt dies meiner Erfahrung nach dazu, dass mehr Menschen positivere Erfahrungen mit Tattoos machen. Die Branche ist immer noch vorurteilsbehaftet. Zu Unrecht meiner Meinung nach. Es würde die Branche in ein besseres Licht rücken, wenn die Entscheidungsgründe und die damit verbundenen Gefühle mehr in den Fokus gerückt werden und es zugelassen wird, dass man in die Richtung geht, wo das Gefühl einen hinträgt. Denn dann steht man hinter den Dingen – und das nicht nur jetzt, sondern langfristig und für viele Jahre.
Weitere Infos zum Tattoostudio von Macho und Gina Paulik
Fotos: centerpiece Tattoostudio